Als der Fotograf Fréderic Chaubin 2003 nebenbei und zufällig in Tbilisi zwei spätmoderne Monumentalbauten entdeckte – vermutlich das Autobahnministerium und den Zeremonienpalast –, gab es Instagram noch nicht. Und damit fehlte noch die Plattform, auf der das brutalistische Erbe der Sowjetunion heute, 20 Jahre später, täglich 100.000ende von Likes erhält. 2003 hatte es, so Chaubin im Vorwort seines Buches CCCP. Cosmic Cummunist Constructions Photographed, eigentlich gar keine Follower. Chaubin stand in den frühen 2000er Jahren meist allein mit seiner Kamera vor den futuristischen, riesigen, rätselhaften und beklemmend maroden Betonbauten der 1960er bis 1980er Jahre, zwischen Moldau und Taschkent, zwischen Breschnew und Glasnost.
Chaubin beschloss, diese Denkmäler aufzuspüren, fotografisch zu dokumentieren und das erste Buch zu diesen Gebäudeskulpturen zu schreiben. Damit legte er einen Grundstein für die architektur- und kunsthistorische Zuwendung zu diesen Bauten und prägte insbesondere den fotografischen Stil, in dem wir dieses Erbe heute beinahe non-stop auf Insta bestaunen dürfen. Chaubin gelang ein Klassiker, ein Vorbildbuch mit außergewöhnlichen Fotografien spektakulärer Bauten und klugen, künstlerisch-intuitiven Interprationsvorschlägen für die Großmonumente der Sowjetära.
Die Fotografien in diesem naturgemäß großformatigen Buch überzeugen vollkommen und sind auch zehn Jahre nach Erscheinen des Buches im Taschen Verlag immer wieder ein eingehendes Vertiefen wert. Seite um Seite träumt man sich ein in eine futuristische Märchenwelt der Vergangenheit. Je klarer die Fotografien sind, desto weiter entfernt erscheint die Belebung dieser Architekturen, desto verschwommener die eigentliche Funktion der Bauten.
Den Bauwerken zu Grunde liege, so Chaubin 2011, die Flucht der sowjetischen Menschen in die Welt des Science Fiction, in die Idee eines anderen, weit entfernten Ortes. Es sei dieses „kollektive Imaginäre“, das die Phantasie der Architekt:innen und der Rezipient:innen anregte. Bis heute. Wir brauchen das Buch von Chaubin, um den Erfolg der Insta-Posts zu verstehen. Jetzt, wo kaum etwas unerreichbarer scheint als ein kollektives Imaginäres und wir uns offenbar nostalgisch mit den hinterlassenen Phantasmen früherer Zeiten beruhigen, könnte es helfen, diese Phantasmen verstehen zu versuchen.